Der Kampf gegen Sexualisierte Gewalt ist politisches Ziel

Die Falken setzen sich gegen Sexismus ein. Als Sexismus wird die auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung bezeichnet. Unter dem Begriff werden Geschlechterstereotype, Affekte und Verhaltensweisen gefasst, die einen ungleichen sozialen Status von Frauen* und Männern* zur Folge haben oder darauf hinwirken. Sexuelle Gewalt ist Machtmissbrauch. Sexismus ist Machtausübung.

Sexuelle Übegriffe finden meistens im nahen Umfeld, wie Familie, Schule oder Jugendgruppe statt. Sexualisierte Gewalt ist für uns Ausdruck der patriarchalen Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft. Daher ist der Kampf gegen sexualisierte Gewalt nicht nur ein pädagogisches, sondern auch politisches Ziel.

Selbstverständnis – „Nein heißt Nein“

In Deutschland wird der Begriff „sexueller Missbrauch“ in der breiten Öffentlichkeit, in den Medien und von vielen Betroffenen verwendet. Auch das Strafgesetzbuch spricht von sexuellem Missbrauch, meint aber anders als der allgemeine Sprachgebrauch damit nur die strafbaren Formen sexueller Gewalt.

Fachpraxis und Wissenschaft sprechen häufig von „sexueller Gewalt an Kindern bzw. Jugendlichen“. Diese Formulierung stellt heraus, dass es sich um Gewalt handelt, die mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird. Der ebenfalls verwendete Begriff „sexualisierte Gewalt“ geht noch einen Schritt weiter und verdeutlicht, dass bei den Taten Sexualität funktionalisiert, also benutzt wird, um Gewalt auszuüben.

Sexualisierte Gewalt beschreibt eine sexuelle Handlung, die gegen den Willen einer Person an ihr ausgeführt wird – also jede Handlung, durch die ihre psychische oder körperliche Unversehrtheit verletzt wird. Gewalt beginnt, sobald die persönliche Grenze überschritten wird, häufig um die andere Person zu kontrollieren oder Macht auszuüben. Ab wann eine Grenze überschritten wird, entspricht nicht nur dem, was gesamtgesellschaftlich als Grenzüberschreitung gewertet wird. Grenzverletzungen sind stattdessen häufig subtiler und auch deshalb schwerer zu benennen, weil es an einem Diskurs über unterschiedliche Formen der Grenzüberschreitung fehlt. Davon abgesehen sind unsere Lebenswege manchmal sehr individuell und wir erleben manche Situationen, auch Grenzverletzungen, dementsprechend unterschiedlich. Deshalb können andere letztlich nicht beurteilen, wie wir uns mit bestimmten Dingen fühlen. Das psychische Leid, welches durch die Verletzung zugefügt wird, kann daher nicht objektiv bewertet oder gemessen werden. Hierbei sollten verschieden Formen der Gewalt nicht gleichgesetzt oder banalisiert werden.

Sexualisierte Gewalt ist für uns jedes sexuell belegtes Verhalten, das nicht erwünscht ist und als respektlos und verletzend empfunden wird. Zum Beispiel

  • anzügliche Witze
  • die unerwünschte Darstellung von Menschen als Lustobjekte
  • taxierende Blicke
  • unerwünschte Berührungen
  • abfällige/sexistische Bemerkungen über Aussehen, Verhalten und Privatleben
  • unerwünschte Aufforderungen und Annäherungsversuche, die mit Versprechen von Vorteilen oder Androhung von Nachteilen einhergehen
  • strafrechtlich relevante Tatbestände wie Stalking, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung.

Was als sexualisierte Gewalt gilt, soll von den Betroffenen definiert werden. Es geht darum, statt objektiver Kriterien das subjektive Erleben in den Mittelpunkt zu rücken. Das was als sexualisierte Gewalt empfunden wird, ist somit auch sexualisierte Gewalt. Dies soll zum einen verhindern, dass Frauen*, Männer*, Kinder und Jugendliche unter Rechtfertigungsdruck geraten, wenn sie von sexualisierter Gewalt ihnen gegenüber berichten. Zum anderen kommen damit auch Formen sexualisierter Gewalt in den Blick, die nicht durch das Recht definiert sind.

Organisationsaufbau

Durch hierarchische Strukturen können bestehende Abhängigkeits- und Machtverhältnisse ausgenutzt und so Grenzverletzungen gefördert werden. Die Falken versuchen ihre hierarchische Struktur auf ein Minimum zu reduzieren und achten zudem auf ausgeglichene Geschlechterverhältnisse. Der Vorsitz des Verbands wird durch eine geschlechterparitätische Doppelspitze gewährleistet. Ebenfalls wird in kleinen Teams und Arbeitsgruppen darauf geachtet, dass die Zusammensetzung dieser Gruppen geschlechterdivers gestaltet wird (bspw. Gruppenhelfer*innen im Zeltlager).

Wir streben eine möglich flache hierarchische Organisationsstruktur an, in der im Gegensatz zur steilen Hierarchie Ranghöhere wenige Eingriffe in Entscheidungen Rangniedrigerer vornehmen. Wir setzen in unserer Arbeit auf Eigeninitiative und -verantwortung. Innerhalb der Trägerstruktur arbeiten die Mitglieder der höchsten Hierarchieebene nicht ausschließlich zusammen. In die Vorstandsarbeit werden Mitglieder involviert und die Vorstände arbeiten in Projekten und der Gruppenarbeit. Aufgaben der Führung und Entscheidungsfindung werden tendenziell an untere Ebenen verteilt. Die Koordination auf mehreren Hierarchieebenen durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationssystemen ermöglicht es, dass Aufgaben weitestgehend unabhängig voneinander erfüllt werden können. Den Gesamtüberblick haben die Vorstände und die*der Jugendbildungsreferent*in.

Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen

Präventionsarbeit lässt sich nicht auf Verhaltensregeln reduzieren. Vielmehr bedeutet sie eine kontinuierliche Erziehungshaltung. Das Hauptanliegen von Präventionsarbeit ist es, die Widerstandsfähigkeit und Autonomie von Mädchen* und Jungen* zu fördern sowie ihre Selbstachtung und ihr Recht auf Selbstbestimmung zu stärken. Es ist wichtig, dass wir Erwachsene sie darin bestärken, ihre Gefühle ernst zu nehmen und auszudrücken. Denn Gefühle sind Signale und bieten Orientierung. Der inneren Stimme zu vertrauen heißt Zutrauen zu sich selbst zu haben und handlungsfähig zu sein. Mädchen und Jungen, deren Rechte und Grenzen von uns Erwachsenen im Alltag akzeptiert werden, haben weniger Ängste und sind selbstbewusster.

Dies kann nur gelingen, wenn wir als Erwachsene Mädchen* und Jungen* grundsätzlich mit einer solchen Erziehungshaltung begegnen. Wirkung können wir nur erzielen, wenn wir Kindern unsere Haltung glaubhaft vermitteln können, d. h. wenn diese Grundsätze im Alltag auch wirklich gelten. Kinder nehmen uns beim Wort. Sie überprüfen kritisch, ob das, was wir ihnen vermitteln, nur Worthülsen sind oder ob wir mit unserer ganzen Person dahinter stehen. Im Alltag heißt das, Kinder zu unbequemen Kindern zu erziehen. Kinder, die mit einem Gefühl für ihre Rechte und Grenzen aufwachsen, deren Nein akzeptiert wird, auch von Erwachsenen, sind selbstbewusster und handlungsfähiger und haben größere Chancen, sich Hilfe zu holen, wenn sie allein nicht mehr weiter wissen. Für uns als Erwachsene ist es eine echte Herausforderung, denn unbequeme Kinder bedeuten eine ziemliche Anstrengung.

Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten

Den besten Schutz sehen wir in einer sachlichen Aufklärung und dem Respekt von Kindern als eigenständige Persönlichkeiten. Wir sind der festen Überzeugung, dass Kinder ihre Gefühle deutlich zum Ausdruck bringen, wenn sie von klein auf in ihren Gefühlen respektiert wurden. Wir nehmen Kinder ernst, wenn es darum geht, dass sie satt sind, dass sie müde sind oder dass ihnen die Schürfwunde wehtut. Durch solche scheinbaren Banalitäten entwickelt sich nicht das Gefühl „Die Erwachsen wissen grundsätzlich besser als ich, was gut für mich ist“, das nach unserem Verständnis der perfekte Nährboden für Übergriffe ist.

Gleichzeitig vermitteln wir den Kindern und Jugendlichen in unserer Vorbildfunktion, dass auch wir Grenzen haben und „Nein“ sagen: Wir sind nicht 24-Stunden-Helfer*innen, wir möchten nicht diskriminiert werden, nicht immer umarmt werden, wir haben körperliche Grenzen und brauchen auch mal eine Pause.

Partizipation und Auflösung von Machtstrukturen

Die Kinder und Jugendlichen werden im größtmöglichen Maß in allen Fragen und Entscheidungen des Verbandes eingebunden. Die Kinder und Jugendlichen werden genauso gehört und ihr Einwände werden genauso ernst genommen wie die der Erwachsenen. Kinder und Jugendliche fühlen sich dadurch durch uns ernst genommen und schätzen uns als wichtige Vertrauenspersonen.

Wen man sexuelle Gewalt definiert, geht es immer um eine Bedürfnisbefriedigung, die die*der Täter*in dadurch erhält, dass sie*er ihre*seine Machtposition gegenüber den Kindern und Jugendlichen und deren Abhängigkeit ausnutzt und ihre Grenzen überschreitet. Dabei handelt es sich um eine bewusst geplante, meist gut vorbereitete Tat. Die sexuelle Instrumentalisierung eines Kindes oder Jugendlichen wird oft mittels Drohungen durchgesetzt und von einem Geheimhaltungsgebot begleitet. Die meisten Täter sind Männer aus dem direkten Nahumfeld der Kinder und Jugendlichen.

In unserem Verband gibt es niedrige Machtstrukturen. Kinder gleichberechtigte Gruppenmitglieder gegenüber Helfer*innen. Jugendleiter*innen bei den Falken nennen sich selber Helfer*innen, um zu verdeutlichen, dass sie da sind, um die Kinder und Jugendlichen bei der Selbstorganisation zu unterstützen und nicht nur ein Programm anbieten, das konsumiert werden kann.

Sachliche Aufklärung statt Angst

Wir sehen es als unsere Aufgabe, mit Kindern und Jugendlichen über sexuelle Gewalt zu sprechen. Dabei verfallen wir nicht in Aussagen wie. „Steig nicht in fremde Autos ein!“ oder „Geh nicht mit Menschen mit, die du nicht kennst!“ Diese Aussagen führen lediglich zu Verängstigung und zur Verstärkung der Abhängigkeit von Betreuungspersonen – wiederum ein Nährböden für sexuelle Übergriffe, denn fehlinformierte, unsichere und abhängige Kinder sind ideale Opfer. Prävention soll Kinder in die Lage versetzen, sexuelle Übergriffe zu erkennen, sich gegen sie wehren und sich damit selbst schützen zu können.